Ein junger Mann sieht verflucht gut aus und singt so, wie er aussieht: So wurde Dante Thomas vor zehn Jahren mit dem Hit „Miss California“ zum Chartbreaker, aber deshalb nicht gleich zum Dauerbrenner.
Allen damals niedergeschriebenen Hoffnungen zum Trotze, aus diesem Amerikaner könnte vielleicht der nächste Stevie Wonder werden, machte sich Thomas fortan rar. Hier mal ein Song, dort mal ein wenig der extraordinären Stimme in einem anderen Song, mehr nicht. Und jetzt:
Ein ganzes, neues Album von Dante Thomas, auf den die im ersten Satz genannten Elaborate heute sogar noch eher zutreffen als im Jahr nach der Milleniumswende. Weshalb aber ist dieser Dante Thomas heute wieder ein Aktivposten der Sparte Pop/R’n’B?
„Ich glaube“, sagt er, „solange du Talente hast, Visionen und den Glauben an dich selbst, solange dahinter ein starkes Team steht, kannst du es immer noch schaffen“.
Seine Suche nach eben diesem idealen Umfeld war endlich von Erfolg gekrönt, also ist Dante aktiv geworden. Und weil ihm ein Plagiat des eigenen Hits nie und nimmer genug gewesen wäre, hat er sich auf neue Sounds eingelassen. Davon legt schon die erste Single seines Albums „Hardcore On Videotape“ Zeugnis ab, denn „Damage Is Done“ startet zwar als akustische Spielerei, drängelt sich dann aber selbstbewusst auf den Dancefloor.
Allein die Stimme von Dante Thomas bleibt den R’n’B-Wurzeln verbunden und schwebt somit seltsam magisch über den knalligen Beats.
Kein Zweifel: Hier wird die Rückkehr eines Artisten eingeläutet, der schon vor zehn Jahren talentiert genug war, die Popwelt zu erobern. Aber erst jetzt ist er auch bereit dazu.
Heißen wir ihn also herzlich willkommen!
Bei seinem Namen heben sich manchmal Augenbrauen und rudern die Kandidaten auch dann und wann etwas hilflos mit den Armen. Klar, schon mal gehört, aber wer zum Teufel war das noch? Ein Sänger. Okay, aber nenn’ mal einen Titel! „Miss California“. Den Probanden schwindet der angestrengte Zug aus dem Antlitz, sie lächeln leicht befreit, „ach der!“ Vor nun zehn Jahren brachte besagter Titel Dante Thomas in die Top Ten gleich mehrerer europäischer Länder, als Wiederkehr des klassischen Soul wurde der schöne Song ebenso gefeiert wie ihr Interpret als neuer Stevie Wonder.
Jetzt sitzt Dante Thomas in einem kleinen Café in Hamburg, St. Pauli und isst Schokoküsse zum Kaffee. Sein Händedruck ist fest, sein Blick unbeirrbar und gerade, seine Sprache geschliffen. Nicht gerade das, was ihn als Popstar bloßstellen könnte. Gerade einmal fünf Singles hat Thomas in den zehn Jahren nach dem Durchbruch aufgenommen, einen echten Workaholic haben wir dort offenbar eher nicht vor uns sitzen. Was hat er bloß gemacht, die letzten Jahre, kann er Highlights benennen, haben andere dies getan? „Gut gefragt, denn tatsächlich sind meine Meilensteine nicht unbedingt die, die auch andere ausgemacht haben. Ich lebte in L.A., in New York City, in Salt Lake City“, übrigens seine Geburtsstadt, „und in Idaho, und das meiste, was ich gemacht habe, war Underground Stuff. Ich habe meine Musik von meinem Umfeld bestimmen lassen, das meiste davon ist nie auf irgendwelchen Tonträgern erschienen. Das neue Album ist eigentlich erst mein drittes. Ich hatte mich zu entscheiden, ob ich definitiv Sänger, Musiker, Künstler werden will oder nicht. Die letzten vier, fünf Monate haben mir schon die Richtung gezeigt“.
Ein neues Album also, das ist doch schon mal was. „Hardcore On Videotape“ heißt das Werk und ist in Dante Thomas’ neuer temporärer Wahlheimat Deutschland entstanden, nach der es aber überhaupt nicht klingt. Nach seinen Anfängen indes klingt es auch nicht mehr, was ja ehedem nichts Anderes als ein müder Aufguss gewesen wäre. Hat Dante Thomas also, nachdem er in den letzten Tagen des Branchen-Booms gestartet war, heute zu neuen Strategien gefunden? „ Ich frage mich oft, ob es überhaupt alte Strategien gibt. Und was neue angeht: Konnte man auf die Revolution durchs Internet wirklich vorbereitet sein? Ich glaube, solange du Talente hast, Visionen und den Glauben an dich selbst, solange dahinter ein starkes Team steht, kannst du es immer noch schaffen. Heute werden Nobodies schnell zu Somebodies und werden dann groß, genauso schnell werden aber auch Somebodies wieder zu Nobodies, da wird der Künstler zum Surfer, der die richtige Welle abwarten muss. Startet er zu früh, geht er unter, startet er zu spät, passiert das Selbe. Ich glaube daran, dass die Musik meines neuen Albums gerade jetzt in die Zeit passt und in vielleicht einem Jahr schon nicht mehr. Möglicherweise ist das ein bisschen zynisch, aber es ist auf keinen Fall total realistisch. Es ist lediglich ein wenig pessimistisch. Aber es gibt da draußen verdammt viele Sänger, die genauso gut sind wie ich. Es gibt sogar reichlich viele, die besser sind als ich. Das ist einfach Fakt. Also stelle ich mir schon lange nicht mehr die Frage, wer der beste ist. Ich finde es wichtiger herauszufinden, wer der ehrlichste ist.“
Genau hier punktet Dante Thomas. Er ist echt, so echt wie ein guter italienischer Espresso. Schummeln gilt nicht. Sein „Miss California“ ist, wie Dante sagt, „manchen Leuten zum Soundtrack eines bestimmten Abschnitt ihres Lebens geworden, das bringt mich in die Rolle eines Dank sagenden Interpreten“. Muss der nicht aber auf der Bühne zum begabten Poser werden? „Klar ist das professionelles Posing, was du als Sänger auf der Bühne machst“, so Dante, „aber entscheidend ist deine Attitüde. Wenn du dabei auf die Schnauze fällst, solltest du über dein Missgeschick lachen können. Die Leute wollen sehen, dass du auf der Bühne bist, um auch selbst möglichst viel Spaß zu haben, nicht um ihnen etwas vorzumachen. Hey, man ist doch ein gesegneter Mensch, wenn man auf der Bühne sein Geld verdienen kann und nicht Jahrzehnte einen Job machen muss, den man eigentlich gar nicht tun will, und das ist für eine Mehrheit der Menschen doch der Alltag“.
Mit diesem Alltag aber muss sich Dante Thomas nicht mehr herum schlagen
Das Schlimmste wäre sicherlich gewesen, wenn zehn Jahre nach dem Riesenhit jetzt jeder zweite Titel auf Dante Thomas’ neuem Album geklungen hätte wie der verzweifelte Flirtversuch mit „Miss California“. Doch es darf Entwarnung gegeben werden:
Der Dante Thomas von 2011 ist so definitiv wie glücklicherweise nicht der Dante Thomas von 2001. Absolut nichts gegen den schönen Song, aber es gibt ihn halt bereits.
Was der Amerikaner auf „Hardcore On Videotape“ vollzieht, ist gewissermaßen ein „alles auf Anfang“, ein beherzter Neubeginn, der gern ohne den ewigen Vergleich mit verstaubten Lorbeeren auskäme – und auskommt.
Zwar hat man Dante Thomas damals lauthals die Chance zugeschrieben, eines Tages zum neuen Stevie Wonder zu werden. Bedeutet aber hätte dies, sich dem Werk der übergroßen Ikone anzubiedern, um die Leute nicht vom Glauben abzubringen.
Dem hat sich Dante Thomas in überzeugender Konsequenz verweigert, weshalb „Hardcore On Videotape“ jetzt klingt wie – ein Album von Dante Thomas eben, den kennenzulernen sich lohnt.
Seine Gesang ist zwar noch seelenvoll wie eh und je, die Sounds aber, mit denen er sein Talent heute umgibt, klingen nicht nach Old School Soul und auch nicht nach dessen drittem Aufguss, sondern gehören klar ins Hier & Jetzt.
Songs wie die Uptempo-Nummern „Kickin’ Up Dust“ oder „Damage Is Done“ zitieren für den aufmerksamen Zuhörer um drei Ecken alte Motown-Herrlichkeit, ohne sie zum zentralen Thema zu machen. Stattdessen passen sie auf jeden Dancefloor, auch dann noch, wenn der Abend längst zum Morgen geworden ist.
Eine Piano-Ballade wie „Fracture“ schlösse eine solche Nacht perfekt ab, zum Frühstück passt dann „Paperthin“ als Midtempo-Schmeichelei für Ohr und Seele gleichermaßen. Als Künstler wehrt sich Dante Thomas gegen alles, was nicht echt ist oder auch nur in entsprechendem Verdacht steht.
„Du bist“, sagt der 32-Jährige, „als Sänger so was wie ein Darsteller in einem Film, den manche fürs echte Leben halten. Auch wenn ich Casting-Shows hasse.“ Heißt was?
„Ganz einfach: Ich mag es nicht, den Menschen etwas vorzumachen“.
Diesem Vorwurf hat Dante Thomas mit „Hardcore On Videotape“ keine Chance gelassen. |