Die letzten sechs Monate, sie müssen Norma Jean Martine vorgekommen sein wie der reinste Wirbelsturm. Seit Veröffentlichung ihrer ersten EP „Animals“ stand ihre kleine Welt praktisch nicht mehr still. So wurde Martine Anfang des Jahres Gesicht der neuen und bisher grössten Marketing Kampagne des Designer Outlets McArthur Glen. Den Soundtrack zur Kampagne lieferte sie mit ihrem Cover von George Michael’s „Freedom“ praktischerweise gleich selbst. Schnell wurde das renommierte Wonderland Magazine auf sie aufmerksam und widmete Martine ein grosses Feature. Und nebenbei komponierte und arbeitete die 25-Jährige auch noch mit Künstlern wie Ronan Keating, Pablo Nouvelle und Burt Bacharach. All das, bevor ihr Debütalbum „Only In My Mind“ überhaupt erschienen ist. Also wer bitte ist diese junge Frau, die solche Erfolggeschichten scheinbar mit links aus dem Ärmel schüttelt?
Man kann gar nicht anders, als Norma Jean Martine sofort ins Herz zu schliessen. Wer mit ihr spricht, hat schnell das Gefühl, sie schon ewig zu kennen. Nicht nur, weil Martine so eine herzliche und freundliche Art hat, sondern auch, weil sie von Hölzchen auf Stöckchen kommt und sofort ihre ganze Lebensgeschichte teilt. „Die Vorfahren meines Vaters waren italienische Immigranten und er ist in sehr armen Verhältnissen aufgewachsen“, beginnt sie zu erzählen. „Von ihm habe ich meine Werte. Er hat mir beigebracht, dass ich hart arbeiten muss, wenn ich Dinge erreichen will. Ich habe nie erwartet, dass mir etwas geschenkt wird.“
Norma Jean Martine wuchs in Middletown auf, etwa eine Stunde nördlich von New York City. Mit dem Broadway vor der Haustür war das Singen schon als kleines Kind ihre grosse Leidenschaft. „Wir hatten keine Nachbarn, weil unser Haus direkt am Highway stand, und wenn meine Eltern nicht Zuhause waren, waren da nur mein Hund und die Maisfelder hinter dem Haus“, lacht sie. „Ich glaube deshalb bin ich so kreativ geworden. Es war meine Art damit umzugehen, alleine zu sein.“ Doch nicht nur das – es prägte auch ihren Charakter. Man mag es heute kaum glauben, aber als Kind war Martine nicht besonders selbstbewusst. „Meine Eltern waren sehr old school, ich hatte keine coolen Designer-Klamotten wie die anderen Kinder“, sagt sie. „Alsich feststellte, dass ich ganz gut singen kann, hat das mein Leben verändert. Es hatte auf einmal einen Sinn.“
Und wie Martine singen kann! Ihre Stimme hat diesen kraftvollen, bluesigen Sound, der an Grössen wie Nina Simone und Janis Joplin erinnert. Kein Wunder, dass sie bei den Blues-Jams, zu denen ihre Mutter sie eines Tages mitnahm, schnell Fans fand. Über einen kurzen Stopp in Nashville, wo sie an der Belmont University Musik studierte, verschlug es Martine 2011 auf Raten ihres Profs schliesslich nach London. Ihre Musik würde da gut hinpassen, fand er – und sollte Recht behalten, denn in der britischen Hauptstadt nahm alles seinen Lauf. Martine traf ihren Manager, trat bald im Vorprogramm von Künstlern wie Stevie Wonder, Tom Odell und Gaz Coombes auf und eröffnete bereits zwei Mal das legendäre Montreux Jazz Festival.
Und nun endlich erscheint ihr Debütalbum „Only In My Mind“ – eine wunderbare Mischung aus Singer/Songwriter, Pop, Rock, Blues und Folk. Es reicht von sanften Balladen wie „I Will Never Love Again“ über die mit Bläsern und Streichern verzierte Retro-Soul-Pop-Nummer „Still In Love With You“ und dem mit Burt Bacharach zusammen geschriebenen Track „I’m Still Here“, bis hin zu dem von einem Rolling-Stones-Konzert inspirierten rockigen „Animals“. „Für mich“, sagt Martine, „ist dieses Album wie eine verlorene Rock/Pop-Platte aus den Sechzigern und Siebzigern.“
Dabei singt Norma Jean Martine sich die Seele aus dem Leib. Sie leidet und liebt, trauert und verzeiht. Mal warm und zart, dann geheimnisvoll und verrucht. Viele Songs handeln von einer vergangenen Beziehung. „Das war das erste Mal, dass ich dachte, ich könnte mit jemandem alt werden“, sagt sie. Man ahnt schon: Es ging nicht gut aus. Die Entwicklung dieser Beziehung lässt sich in vielen Songs nachvollziehen. Es geht auf dem Album aber nicht nur darum. So ist „I Will Never Love Again“ Martines Vater gewidmet, zu dem sie ein sehr enges Verhältnis hat. Der Titelsong „Only In My Mind“ ist von dem Roman „Wuthering Heights“ inspiriert und handelt von verbotener Liebe, und die erste Single „No Gold“ entstand, als Martine die Autobiografie von Janis Joplin las. „Joplin war wohl Schlafwandlerin und eines Tages wandelte sie hinaus auf die Strasse. Ihre Mutter frage sie, wohin sie gehe, und Janis sang so laut sie konnte ‚I’m going home’. Das fand ich irgendwie total schön. Ich selbst habe mein Zuhause verlassen und manchmal fällt es mir schon schwer, so weit weg zu sein. Aber ich weiss, dass es aus einem guten Grund getan habe. Ich folge meinem Traum.“
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