Melanie De Biasio ist Absolventin der bedeutendsten belgischen Hochschule für Musik und Schauspiel, dem Königlichen Konservatorium Brüssel (oder: Conservatoire Royal de Bruxelles) und bereits eine anerkannte Künstlerin in ihrer Heimat Belgien und der Grande Nation Richtung Süden.
Angekündigt als eine neue Stimme im Jazz, wie von „outer space“ kommend, war ihr erstes Album „A Stomach Is Burning“ nah am rauchigen, glimmenden Sound, über den man gerne im Traum in einem Jazzkeller im Paris oder New York des Jahres 1959 stolpern möchte.
„No Deal“, ihr nun folgendes zweites Album, offenbart sich einem zunächst in monochromem Minimalismus:
eine simple Fotoaufnahme auf dem Cover.
Miles Davis „A Kind Of Blue“ - Typographie.
Sieben Songs, in denen ihre eigene Stimme sehr anmutig erscheint und manchmal aber auch komplett verschwindet. Wie eine Blechfotografie Anfang des letzten Jahrhunderts, braucht dieses Album Zeit, um sich zu entfalten, bis die Details auf magische Weise immer klarer erscheinen.
„No Deal“ ist genau 33 1/3 Minuten lang, was irreführend als Verneigung vor der goldenen Zeit der Jazz Vinyl LP verstanden werden könnte. Und diese Kürze ist wirklich kaum zu glauben. Sie hallt nach und Echos schwingen im Raum umher. Als ob man einen Stein in‘s Wasser wirft und die konzentrischen Wellen endlos weiterzuschwingen scheinen.
Melanie wurde bereits „die belgische Billie Holiday“ genannt, und ja, genau betrachtet, ist ihre Stimme auch genauso eindringlich. Aber zugleich grazil und feinfühlig. Die Intonation ihrer Singstimme zwingt regelrecht zum Zuhören. Melanies Timbre ist anders als das einer Abbey Lincoln, aber es strahlt eine gleichermaßen bezaubernd fesselnde Faszination aus.
Ein Spiegelbild für „No Deal“ in der Musikgeschichte wäre aber am ehesten Nina Simones Debütalbum „Little Girl Blue“, auch bekannt als „Jazz As Played In An Exclusive Side Street Club“.
Auf beiden (Alben) liegen instrumentale Stücke eingebettet in die Songs.
Nina spielte Klavier - Melanie spielt Flöte.
Melanies neuer Horizont öffnete sich für sie in Portland, Maine.
Ein befreundeter Dichter veranstaltete ein regelrechtes Happening, bei dem sie ihre Songs im fast verborgenen Schatten stehend sang, eingebettet in eine Mischung aus Tanzperformance, Spoken Word Poetry und Malerei.
Dies eröffnete ihr eine neue Perspektive ihrer Musik und zeigte, wie man die traditionellen Relationen von Sänger, Band und Publikum aufbrechen kann.
„Es ist kein Jazz“, sagt Melanie, (woanders sagte sie „c‘est pas vraiment du jazz mais c‘est aussi du jazz“ - es ist nicht wirklich Jazz, aber Jazz ist ein Teil des Ganzen).
Als ich dann nach einer Beschreibung frage, hält sie kurz inne, bevor sie einen Namen für ihre Musik vorschlägt: „Evolutive Pop“.
No Deal“ zieht Dich herein in ein Geheimnis, maskiert als klassisches Jazz-Album (was es definitiv nicht ist), und gesteuert von einer eleganten Chanteuse (was Melanie definitiv ist).
„Das Album“, erklärt sie, „ist nur eine Version der Songs. Diese variieren live in Anzahl als auch Komposition. Bei alldem ist die Stimme wichtig - aber“ fährt sie fort, „im großen Gesamtbild geht es weniger um die Stimme.“ Vielleicht führt sie ihr Flötenspiel zu dieser Sicht auf ihre Stimme, aber genau aus der umgekehrten Perspektive gesehen, hören wir viel aufmerksamer zu, wenn sie singt.
„Wir proben nicht, wir treffen uns einfach auf der Bühne und ich sage dann , was wir spielen . . . wir kennen uns sehr sehr gut. Der Soundmann, der Lichttechniker, sie sind auch Teil der Band. Es geht darum, eine Vision zu entwickeln und Du bist Teil dieses Prozesses, c‘est poreux - es ist durchlässig.“
Ich möchte wissen ob es einen Song gibt, der das Album zusammenhält. Ein Song, der die Tür aufmacht für den Rest.
„Es war mir wichtig mit „I Feel You“ anzufangen. Um das Tempo festzulegen. Tempo ist extrem wichtig. Es gibt eine Story, aber ich wollte eine Platte erschaffen, die es dir viel Raum zum Träumen lässt.“
Tatsächlich fühlt es sich an, als ob sie uns eine Geschichte erzählt, aus der sie aber jederzeit ein- und aussteigen kann, um Platz für unsere eigene Version dieser Geschichte zu lassen.
Nimmt man das Album als eine Art fortlaufende Erzählung, erscheint der Titelsong „No Deal“ wie eine Suite in drei Akten: der Versprechung eines frischen Windes fegt durch den ersten Akt, gefolgt vom kompromisslosen „No Deal“ im zentralen Teil der Aufführung (das dauert gerade mal eine Minute, aber hält uns atemberaubend gefangen) und dann der finale dritte Akt, in dem wir langsam zum kontemplativen Nachdenken gebracht werden. Und dann warten wir darauf, dass sie zurückkommt. Aber sie ist weg.
„Es gibt eine Art roten Fadens, der sich durch das Album zieht, aber du schaffst dir deine eigene Vorstellung. Ich höre einmal, dann nochmal und es ist nicht dasselbe. Man braucht diesen Raum. Ich habe mir „ Ascenseur pour l‘échafaud “ angeschaut und die Musik darin ist so extrem wichtig! Sie bestimmt das Tempo des Films. Oder kennst Du „Drive“? Diese Szenen in denen er nur im Auto herumfährt, auch hier ist wieder die Musik wichtig, diese großartige Musik! Aber das wichtige ist, dass sie das Tempo bestimmt und dir Zeit zum Nachdenken lässt.
Miles Davis schrieb die Musik zu „Ascenseur Pour L‘Échafaud“ - was sagte Miles nochmal?
`Spiel nicht das, was da ist, spiel das, was nicht da ist.`“
„No Deal“ steht also stellvertretend für das gesamte Album, welches von den intimen Anfängen von „I Feel You“ bis zum Abschiedsgruß „With All My Love“ dahinfließt.
Es gibt keinen Deal.
Der letzte Song möchte dann versöhnen. Die Ruhe nach dem Sturm, aber immer noch vollgefüllt mit schaudernden Emotionen, ein „frisson“, wie man auf Französisch sagt.
„Wir gehen da durch, das machen wir immer. Mit all meiner Liebe.“
Aber wir können immer noch nicht sicher sein. „With All My Love“ sinkt langsam hinab zu einer hypnotisierenden Basspfeife am Ende. Ist der Vorhang schon gefallen? Wird unsere Heldin immer noch da sein, wenn die Lichter angehen? Sie hat uns erst in ihren Bann gezogen, dann geht sie weg, lässt die Tür offen, aber wir schaffen es nicht, auch zu gehen und ihr zu folgen.
Die Nadel zurück auf den Anfang. Die Kassette zurückspulen. „Repeat“ drücken, endloses Abspielen.
Harry Calvino, übersetzt / übertragen von Michael Rütten |